Von OTZ-Korrespondent Carl D. Goerdeler, Rio Mit der Unterstützung aller Parteien und gegen den Widerstand der Lobby von Waffenproduzenten hat der Kongreß von Brasilia in dieser Woche das wohl schärfste Waffengesetz verabschiedet, das in Lateinamerika in Kraft tritt.
Es besteht kein Zweifel, das Staatspräsident Lula das "Statut zur Entwaffnung" noch vor Weihnachten unterzeichnet. Das Waffengesetz begrenzt die Erlaubnis über Waffenbesitz auf Militär, Polizei und amtliche Sicherheitsorgane; Privatpersonen werden nur in wenigen Ausnahmefällen einen Waffenschein erhalten; die bisherigen Lizenzen werden kassiert. Wer trotzdem mit einer Waffe angetroffen wird, muss mit harten Gefängnisstrafen ohne Bewährung rechnen.
Im Jahr 2005 werden die Brasilianer außerdem über ein totales Verbot des Waffenhandels abstimmen - die große Mehrheit ist dafür. Das "Statut zur Entwaffnung", über das fünf Jahre lang heftig debattiert wurde, ist mehr als überfällig. Im vergangenen Jahr starben 40 000 Menschen im Kugelhagel, drei mal mehr als in Verkehrsunfällen, 109 Opfer pro Tag. Besonders gefährdet leben männliche Jugendliche in Favelas und Vorstädten der großen Metropolen. Von 100 000 solcher jungen Brasilianer sterben 239 unter Waffengewalt - das ist eine statistische Zahl, die rund 20 mal größer ist als vergelichweise in den USA und 2000 höher als in Japan. Rund zwei Millionen nicht registrierter Handfeuerwaffen werden in Brasilien vermutet - 230 000 wurden von der Polizei zwischen 1951 und 2001 aus dem Verkehr gezogen.
"Nach unzähligen Bürgerprotesten und unter dem Eindruck fortwährender Massaker haben die Parlamentarier endlich die Konsequenzen gezogen", begrüßt Antonio Rangel von der Menschenrechtsorganisation "Viva Rio" die Entscheidung des Kongresses. "Umfragen belegen, dass 82 Prozent der 175 Millionen Brasilianer für eine vollständige Entwaffnung ist", fügt Rangel hinzu. Bis auf die brasilianische Waffenlobby - immerhin stammen rund 74 Prozent der Tatwaffen aus einheimischer Produktion - wurde das "Statut zur Entwaffnung" in der Öffentlichkeit einhellig begrüßt.
Seine Durchsetzung ist aber sicher nicht so einfach wie seine Verabschiedung. Im Hinterland und in zahlreichen städtischen Elendsgebieten zählt Waffenbesitz zu einer Art persönlichen Lebensversicherung. Kaum ein Kaufmann oder Viehtreiber, der nicht einen Revolver zur Hand hat um sich gegen Räuber und Diebe zu schützen. Wer nicht genehmigte Handfeuerwaffen besitzt, wurde bislang mit einem milden Bußgeld, wenn überhaupt, bestraft. Das wird nun anders.
Binnen einer 90-Tage-Übergangsfrist nach Unterzeichnung des Statuts können Privatpersonen ihre nicht deklarierten Waffen straflos abgegeben, sie erhalten sogar eine finanzielle Entschädigung. Danach aber wird der illegale Waffenbesitz mit Gefängnis bis zu acht Jahren geahndet. Waffenhandel mit Zivilpersonen gilt ab dann als Schwerverbrechen.
Die Kontrolle über die Waffenscheine unterliegt in Zukunft der Bundespolizei - und nicht mehr der wenig vertrauenswürdigen Länder-Militärpolizei. Außerdem wird die Munition der Ordnungskräfte besonders gekennzeichnet, so daß im Falle einer Gewalttat sehr schnell die Herkunft der Projektile festgestellt werden kann. Das "Statut zur Entwaffnung" ist ein passendes Weihnachstgeschenk für die Brasilianer - und angesichts der Kommunalwahlen im nächsten Jahr auch ein Geschenk für die Politiker, die sich nun damit brüsten können.
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